Rezension zu "Der Sandmann" von Charlotte Galilea Deutsch LK Q1

In der Reihe „Interessante und anregende Rezensionen aus dem Deutsch-Leistungskurs“ präsentiere ich heute den Text von Charlotte Galilea, die zu einem recht kritischen Urteil über die Märchen-Novelle „Der Sandmann“ von E. T. A. Hoffmann kommt. Viel Spaß beim Lesen der besten Rezension aus meinem Deutsch-Leistungskurs der Q1!

Dr. Tanja Kurzrock

 

 

Rezension zu „Der Sandmann“ - von Charlotte Galilea

Ich bin wohl nicht die Erste, die eine Rezension über E.T.A. Hoffmans Werk „Der Sandmann“ aus dem Jahr 1816 verfassen muss. Und ich bin wohl auch nicht die Erste, die sich nach dem Lesen gefragt hat: Warum muss man sich mit einem Text wie diesem gut 200 Jahre nach seiner Entstehung immer noch im Deutschunterricht befassen?

Zunächst lässt sich nämlich sagen, dass man herzlich wenig versteht, was in der Geschichte vor sich geht. Nicht nur ist es wegen der veralteten Sprache etwas anstrengend, sich den Kontext zu erschließen, sondern es passieren ständig irgendwelche seltsamen Dinge, die einem den Zugang zum Werk erschweren und bei denen man sich fragen muss: Meint der Erzähler das hier tatsächlich ernst? Will er einem wirklich weismachen, dass die Hauptfigur von einem mürrischen Männchen gejagt wird? Berichtet er nicht vielmehr von sich selbst, wenn er von dem Wahn seines Protagonisten erzählt?

Um im Folgenden jedoch überhaupt zu verstehen, was ich meine, sollte ich die Handlung des Werkes zunächst wohl kurz zusammenfassen: Die Hauptfigur, der frühere Student und nun Schriftsteller Nathanael, begegnet einer Person aus seiner Kindheit, die ihn gedanklich in eine schlimme Zeit zurückversetzt und bei ihm den Eindruck erweckt, etwas Böses sei hinter ihm her. Diese Figur ist der Wetterglashändler Coppola. Er sieht genauso aus wie der Sandmann, eine fiktive Figur, durch die Nathanael in seiner Kindheit von seinen Eltern zum Schlafen gedrängt wurde und die in seiner Vorstellung zu einer angsteinflößenden Gestalt herangewachsen ist, und lässt ihn gedanklich einfach nicht los. Anfangs versucht Nathanael noch, sich durch seine Freunde und Familie auf den Boden der Realität zurückzuholen, doch verfällt er seinen Wahnvorstellungen immer mehr.

Dem Leser fällt es schwer, den Text nicht zur Seite zu legen. Er schafft es nicht, sich wirklich mit dem Protagonisten zu identifizieren, der dafür einfach zu verrückt und vor allem von ihm zeitlich weit entfernt ist. Zudem verliebt Nathanael sich in eine Frau, die nicht seine Verlobte ist. Die Sympathie zu der Figur nimmt also noch weiter ab. Erst als manche Ereignisse mit Nathanaels Wahn gar nichts zu tun zu haben und doch der Realität zu entsprechen scheinen, wird der Leser wieder aufmerksamer. Die Linie zwischen Nathanaels Fantasie und der Realität beginnt immer stärker zu verschwimmen; teilweise hat selbst der neutralste Beobachter den Eindruck, dass Nathanael tatsächlich von Coppola verfolgt wird.

Und das ist der Punkt, an dem ich sagen würde: Also gut - alle Verehrer des Werkes haben Recht, der Text bietet vielleicht doch mehr, als es vordergründig scheint. Denn nach eingehender Analyse fällt auf, dass der Autor sich wirklich viel bei der Erschaffung seiner Charaktere und der Handlung gedacht hat. Einige Motive (wie beispielsweise das Automaten- oder das Augenmotiv) haben eine viel größere Bedeutung, als man beim ersten Lesen vermutet. Gerade das Vage, Schattenhafte, die schwer von der Fantasie zu trennende Realität wirken beeindruckend.

Nichtsdestotrotz muss man jedoch sagen, dass der „normale“ Leser wohl nicht so viel Zeit zum Verständnis der Erzählung aufwendet, wie wir in unserem Deutschunterricht. Teilweise bleiben ihm die Besonderheiten also möglicherweise unklar und als Resümee nimmt er nach dem Lesen für sich nur mit, was auch ich zunächst von dem Text gehalten habe.

Daher lässt sich sagen, dass die Vorgabe des Werkes im Deutschunterricht durchaus verständlich ist. Trotz seines Alters bietet der Text inhaltlich viele Parallelen zur heutigen Welt und die Motive der so genannten Schwarzen Romantik lassen sich gut erkennen. Auch die Phantastik, die Hoffmann durch dieses Werk gewissermaßen begründet hat, lässt sich durch die Erzählung klar charakterisieren.

Das Werk privat zu lesen, würde ich jedoch niemandem empfehlen. Für Leser, die sich auch in ihrer Freizeit für abgefahrene, teilweise etwas zähe Handlungen und lange Sätze erwärmen können, mag die Erzählung interessant sein. Menschen wie ich richten ihr Augenmerk beim Lesen jedoch eher nicht auf irgendwelche Feinheiten wie Motive oder Unterschiede der Erzähltechniken zwischen früher und heute. Wir lesen einfach nur zum Spaß und auf den kann man bei der Lektüre des „Sandmanns“ lange warten.