Rezension zu einer Inszenierung von "Der Sandmann"

Rezension zur Inszenierung von E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“ (Fred Pohl) am 29.03. 2019 im „Cultra“ in Brühl von Luzie Berghaus


In der Reihe „Interessante und anregende Rezensionen aus dem Deutsch-Leistungskurs“ präsentiere ich heute den Text von Luzie Berghaus (Q1), die zu einem durchweg positiven Urteil über eine Inszenierung der Märchen-Novelle „Der Sandmann“ von E. T. A. Hoffmann kommt, die sie im Rahmen ihrer Facharbeit untersucht hat. Hoffmann inspirierte also nicht nur Jacques Offenbach vor über 150 Jahren, wie wir gerade erst bei einem fulminanten Offenbach-Konzertabend an unserer kreativen Schule erleben durften...

Viel Spaß beim Lesen!

Dr. Tanja Kurzrock



Wenn man die Novelle „Der Sandmann“ von E.T.A. Hoffmann zum ersten Mal liest, stellen sich einem viele Fragen, denn die Lektüre lässt viel Platz für Interpretationen. Auch die Darstellerinnen der Theatergruppe „Das Alte Lied“, die 2014 von Dirk Speicher und Fred Pohl gegründet wurde, brauchten etwas Zeit, um sich mit der Novelle anzufreunden. Aber mit den Proben der Inszenierung des Sandmannes wuchs bei den Darstellerinnen, die größtenteils die Jahrgangsstufe 11 der Gesamt­schule Brühl besuchen, immer mehr das Interesse an dem Text.

Auch ich war am Anfang nicht der größte Fan der Novelle, die 1816 das erste Mal veröffentlicht wurde. Dann habe ich in meiner Facharbeit im März dieses Jahres die Inszenierung des „Sandmanns“ von Fred Pohl mit der Textfassung von E.T.A. Hoffmann verglichen. Ich musste mich intensiv mit der Lektüre befassen und dabei ist auch mein Interesse gewachsen.

Die Novelle handelt von einem jungen Mann, Nathanael, in dem aufgrund einer Begegnung mit dem Wetterglashändler Coppola negative Kindheitserinnerungen geweckt werden. Coppola erinnert Nathanael an einen alten Bekannten: Coppelius, der Nathanael für den Tod seines Vaters verantwortlich macht. Nach dieser Begegnung gerät Nathanael in eine Art Wahn und denkt, eine dunkle Macht wolle ihn zerstören. Seine Verlobte Clara versucht erfolglos ihn davon zu überzeugen, dass er sich dies lediglich einbildet. Damit hat sie allerdings letztlich keinen Erfolg. Bis zum Ende der Novelle wird offengelassen, ob es sich bei Coppola und Coppelius um dieselbe Person handelt und ob Nathanael wirklich psychisch krank ist.

Die Inszenierung hebt vor allem Nathanael und seine Krankheit hervor. Es wird verdeutlicht, wie es ist, wenn man von niemandem verstanden wird. Nathanael hängt in seiner Innen- bzw. Gedankenwelt geradezu fest und ist sozusagen „blind“ für die Außenwelt. Auch die misslungene Kommunikation zwischen Clara und Nathanael steht im Stück im Mittelpunkt. Durch diese Akzentuierung wird hier im Gegensatz zur Novelle kein Raum für Spekulationen gelassen, da Nathanael als offensichtlich psychisch krank dargestellt wird.

Die Darstellerin von Nathanael, Marlene Backhaus, spielte diese Rolle sehr überzeugend. Beispielsweise konnten die Zuschauer bei Nathanaels Wutanfällen seine Verzweiflung regelrecht spüren. Auch den anderen Darstellerinnen merkte man ihre Erfahrung aus den Theaterstücken aus den vorherigen Jahren an. Besonders bei den Darstellerinnen der beiden Mönche wurde deutlich, dass sie sich sehr gut in ihre jeweiligen Rollen versetzen konnten.

Die Rahmenhandlung, die durch diese beiden (und einen Gärtner) getragen wird und eine Art Kommentarfunktion hat, dient dazu, dass das Publikum der Handlung besser folgen und sie nachvollziehen kann, da die Geschehnisse keinen chronologischen Ablauf haben. Sie handelt von zwei Mönchen, die schrittweise Manuskriptseiten mit der Geschichte des „Sandmanns“ finden und diese zusammensetzen, wobei sich einer der Mönche im Laufe der Inszenierung als der Autor dieser Manuskriptseiten entpuppt. Die beiden Darstellerinnen haben dementsprechend sehr viel Text – trotzdem gab es weder einen Hänger noch einen Versprecher. Eine angenehme und auch sehr gut gespielte, komödiantische Abwechslung bot die Inszenierung, als der Gärtner der Rahmenhandlung auftauchte und den Mönchen weitere Manuskriptseiten vorlegte, wobei er nicht aufhören konnte von seinem Garten zu erzählen.

Obwohl es keine Requisiten – außer zwei Bänke als Sitzgelegenheit für die Mönche – gab, wirkten alle Darstellerinnen sehr selbstsicher. Auch das Bühnenbild war eher einfach gehalten; es hingen lediglich silberne Fäden von der Decke. Dies war meiner Meinung nach sehr gut gewählt, da man einerseits so nicht von der eigentlichen Handlung abgelenkt und andererseits zu kreativen Deutungen im Zusammenhang mit Nathanaels Geisteszustand angeregt wurde.

Die Spannung ließ während der Inszenierung kaum nach, was daran lag, dass Längen in der Handlung vermieden wurden. Aber auch die technischen Effekte von Dirk Speicher trugen dazu bei. Darunter waren laute Geräusche wie zum Beispiel Coppelius` Schritte oder auch viele Lichteffekte und Nebel.

Bei der Analyse der Bühnenfassung hatte ich Zweifel, was die Übergänge zwischen den einzelnen Szenen anging. Diese sind allerdings während der Inszenierung sehr schnell verflogen, da die Rahmenhandlung sehr gut gewählt war und somit die beiden Handlungsstränge – Nathanaels Erinnerungen an seine Kindheit und seine gegenwärtigen Erlebnisse – zu einer kohärenten Geschichte verbunden wurden. Die Übergänge waren zudem alle fließend und auch die Auswahl der Szenen hat Fred Pohl sehr gut getroffen: Diese hat er größtenteils der Novelle entnommen, aber teilweise auch selbst geschrieben.

Insgesamt ist sowohl die Bühnenfassung als auch die letztendliche Umsetzung in der Inszenierung sehr gut und überzeugend gelungen. Die Inszenierung ist zu einem eigenständigen Kunstwerk geworden und hat somit neue Sichtweisen auf die Novelle ermöglicht.